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Beitrag vom 20.09.2016

FAZ

Somalia

Rückkehr in ein kaputtes Land

Hunderttausende somalische Flüchtlinge sollen Kenia verlassen - mit unabsehbaren Folgen / Von Thomas Scheen

NAIROBI, 19. September. Das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab in Kenia, leert sich. Rund 50 000 Flüchtlinge aus Somalia haben bereits die Heimreise angetreten, nachdem die kenianische Regierung vor einigen Monaten die Schließung des seit 1991 bestehenden Lagers angeordnet hatte. Zwischen 300 000 und 400 000 Flüchtlinge aus Somalia leben in Dadaab, und seit es zahlreiche Anschläge islamistischer Attentäter aus Somalia gegeben hat, betrachten die kenianischen Behörden es als Sicherheitsrisiko. Zudem hat der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta beklagt, dass der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsabkommens mit der Europäischen Union drei Milliarden Euro in Aussicht gestellt wurden, Kenia für die Beherbergung von Hunderttausenden Somaliern von der internationalen Gemeinschaft aber nur rund 370 Millionen Dollar im Jahr erhalte.

Vorerst setzen die Kenianer in Dadaab auf freiwillige Rückkehr. Pro Person erhalten die Rückkehrer 400 Dollar Starthilfe von den Vereinten Nationen. Doch in ihrer alten Heimat Somalia finden diese Menschen häufig genau die Zustände vor, die sie einst zur Flucht veranlasst haben. In weiten Teilen Somalias geben immer noch die Islamisten der Shabaab-Miliz den Ton an. In anderen, friedlicheren Teilen des Landes fehlt es an staatlichen Strukturen und an Geld, den Heimkehrern einen neuen Start ins Leben zu ermöglichen. Insbesondere bei den Vertretungen europäischer Staaten in Kenia wird dies mit großer Sorge gesehen; die Europäer befürchten, dass die "Heimkehrer" sich auf den Weg nach Europa machen könnten. So könnten Familien die Starthilfe der UN dafür nutzen, eines ihrer Mitglieder mit Hilfe von Schleusern nach Europa zu schicken.

Dabei wurde kein anderes Land in Afrika in den vergangenen zehn Jahren von der EU so sehr unterstützt wie Somalia. Ganz erfolglos war diese Hilfe nicht. Die Piraterie vor der Küste ist nahezu vollständig beseitigt worden. Die Islamisten von al Shabaab sind dank des Einsatzes der afrikanischen Friedenstruppe Amisom, die weitgehend von der EU finanziert wird, nur noch eine Guerrillatruppe und keine konventionelle Armee mehr. Es gibt zudem kaum noch Hunger in Somalia. Doch funktionierende staatliche Institutionen existieren trotz aller Anstrengungen noch nicht. Ein Beispiel für das machtpolitische Vakuum in Somalia sind die Parlaments- und Präsidentenwahlen, die am 10. September hätten stattfinden sollen und zunächst auf den 30. Oktober verschoben wurden. Niemand vermag, zu sagen, ob es dabei bleibt. Der Grund dafür liegt bei Präsident Hassan Sheikh Mohamud, der vor vier Jahren vom Parlament gewählt worden war, dessen Besetzung wiederum von 135 Clanführern bestimmt worden war. Die EU fordert, dass die Basis bei den anstehenden Wahlen auf rund 12 000 Clanführer verbreitert wird. Von Wahl zu Wahl soll die Beteiligung weiter erhöht werden, bis das Land irgendwann allgemeine Wahlen mit Beteiligung aller Somalier abhalten kann. Doch der Präsident tut derzeit alles, um die Zahl der Wahlberechtigten so niedrig wie möglich zu halten, und schreckt auch nicht davor zurück, die mit EU-Geld ausgebildete Polizei gegen seine politischen Gegner einzusetzen.

Somalia ist als Bundesstaat organisiert, doch die Regierung kontrolliert faktisch nur die Hauptstadt Mogadischu. Auf dem Land geben nach wie vor die Clanführer den Ton an. Pro Jahr nimmt die Regierung von Präsident Mohamud lediglich 200 Millionen Dollar ein, fast ausschließlich Zolleinnahmen aus dem Hafen von Mogadischu. Damit wird eine rudimentäre Verwaltung in Mogadischu finanziert, doch ein großer Teil des Geldes fließt in Abgeordnetendiäten und die Gehälter der Minister. Auch die somalische Armee, die von Europäern trainiert und von Amerikanern finanziert wird, ist dysfunktional. Es gibt keinerlei Angaben darüber, wo und wofür die einzelnen Bataillone eingesetzt sind. Fahnenflucht ist ein weitverbreitetes Phänomen, weil private Sicherheitsleute deutlich mehr verdienen als Soldaten. Ohne Geld und schlagkräftige Armee kann die Regierung nur mit der Zustimmung der Clanführer regieren. Denen aber ist an demokratischen Strukturen nicht gelegen, weil diese ihre Macht brechen würden. Präsident Mohamud geht inzwischen so weit, den Clanführern einen islamischen Staat zu versprechen, um deren Unterstützung zu erhalten. Entsprechend groß ist die Ernüchterung in den Botschaften der EU-Mitgliedsländer in Kenia, die auch für Somalia zuständig sind. Einige von ihnen, allen voran Frankreich, plädieren für eine härtere Gangart gegenüber der somalischen Regierung und erwägen eine Kürzung der finanziellen Hilfen, um Druck auszuüben. Andere Länder wie Deutschland und die Skandinavier sind eher für eine Vertiefung der Zusammenarbeit und folglich mehr Geld für Somalia, weil sie einen neuen Flüchtlingsstrom nach Europa vermeiden wollen.

Schon bei der afrikanischen Eingreiftruppe Amisom hatte eine Budgetkürzung zuletzt nicht den erwünschten Effekt. Für die 22 000 Mann starke Truppe zahlt die EU nun 20 Prozent weniger als zuvor. Offiziell lautet die Begründung, dass das übrige Geld der internationalen Truppe zur Bekämpfung von Boko Haram am Tschadsee zukommen soll. Tatsächlich aber hatte die Kürzung mit den wenig überzeugenden Leistungen von Amisom in den vergangenen beiden Jahren zu tun. Der größte Truppensteller, Uganda, reagierte auf die Kürzung mit der Ankündigung, seine Truppen bis Ende 2017 abzuziehen. Das würde den mühsam erkämpften Frieden in Zentralsomalia und den Regionen weiter nördlich gefährden. Al Shabaab würde umgehend die Kontrolle über das ganze Land übernehmen. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass die finanziellen Forderungen der Ugander doch noch erfüllt werden.