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Beitrag vom 18.04.2015

Kölner Stadt-Anzeiger

Gewalt an Bord der Flüchtlingsschiffe

Erstmals sollen Moslems aus religiösen Gründen Christen von Bord gedrängt haben

Rom. Verzweiflung, Leid und Gewalt auf Flüchtlingsbooten zählen Experten immer wieder auf, wenn es um die Beschreibung der Zustände auf jenen Schiffen geht, mit denen sich Zehntausende Menschen nach Europa retten wollen. Aber religiöser Hass? Das ist eine neue Dimension der Katastrophe, die sich auf dem Mittelmeer abspielt. Die Staatsanwaltschaft in Italien ermittelt wegen Mordes gegen 15 muslimische Migranten, die nach einem Streit zwölf Christen vor der sizilianischen Küste von Bord geworfen haben sollen.

Es begann in Libyen, wo das Schiff laut Polizei ablegte. Augenzeuge Yeboha erzählt der Zeitung "La Stampa": "Wir waren mehr als Hundert Leute verschiedener Nationalitäten und Religionen an Bord. Nach einem Tag auf dem Meer haben einige Muslime angefangen, uns Christen anzubrüllen, nur aus religiösen Gründen." Auf hoher See hätten die Muslime dann begonnen, Christen über Bord zu werfen. "Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie neun Ghanaer und drei Nigerianer ins Meer geworfen wurden."

Konflikte und Streit zwischen den Menschen, die oft unter unwürdigsten Bedingungen die Überfahrt in der Hoffnung auf ein besseres Leben ansetzen, sind keine Seltenheit. "Viele denken, dass die größte Gefahr das Kentern ist. Aber Gewalt an Bord ist ein großes Problem", sagt die Sprecherin der EU-Grenzschutzmission Frontex, Izabella Cooper. Denn oft seien auf den Booten Menschen verschiedener Nationalitäten, Religionen und ethnischer Gruppen zusammengepfercht.

Unter den oft menschenunwürdigen Umständen an Bord seien Konflikte programmiert. Zudem gebe es eine Hierarchie unter den Flüchtlingen, sagt Cooper. "Migranten aus Ländern südlich der Sahara werden am schlechtesten behandelt, sie werden oft in den unteren Decks eingeschlossen." Die Täter stammen laut Polizei aus Mali, dem Senegal und der Elfenbeinküste. Bei Frontex und auch bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) heißt es, solch einen Fall, in dem Religion der Auslöser für eine Gewalttat war, bisher noch nicht erlebt zu haben.

Es sei ein "weiterer Schritt in Richtung Barbarei und der Instrumentalisierung der Religion", sagt der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz, Nunzio Galantino, Radio Vatikan. Hinter dem Vorfall steckten jedoch "individuelle Gegensätze", die mit Religion nichts zu tun hätten.

Der Fall nährt auch die Angst, dass sich religiöse Fanatiker und Terroristen unter die Flüchtlinge mischen und so ihren Weg nach Europa machen könnten. Eine Angst, die vor allem Rechtsparteien schüren. Der ermittelnde Staatsanwalt von Palermo, Francesco Lo Voi, sagt dazu der Zeitung "La Repubblica": Wenn sich bestätigte, was aus ersten Ermittlungen und Zeugenberichten hervorgehe, werfe das "ein neues Licht auf die Gefährlichkeit einiger Ankünfte". Aber: Es gebe keine Anhaltspunkte, dass sich unter die Flüchtlinge "Elemente terroristischer Organisationen" mischten. In jedem Fall ist Italien mit dem Flüchtlingsstrom, der die Küstenwache und die Aufnahmelager überstrapaziert, überfordert. Seit das (teurere) italienische Flüchtlingsrettungsprogramm "Mare Nostrum" Ende vergangenen Jahres von der (billigeren) EU-Grenzschutzmission "Triton" abgelöst wurde, kritisieren Hilfsorganisationen immer wieder, dass "Triton" sich auf Abschreckung, aber nicht auf die Rettung von Menschenleben konzentriere.

Seit Anfang des Jahres starben nach IOM-Angaben mehr als 900 Flüchtlinge im Mittelmeer - zehnmal so viel wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. (dpa)