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Beitrag vom 26.08.2014

FAZ

Konflikt in Mali

Zurück auf Start

Die neue malische Armee hat eine krachende Niederlage gegen Tuareg-Rebellen eingesteckt. Peinlich - auch für die europäischen Ausbilder.

von Marco Seliger

Als die Schlacht von Kidal geschlagen war, posierten die Rebellen vor ihrer Beute. Sie filmten sich in sandfarbenen Tarnuniformen, den schwarzen Gesichtsschleier der Tuareg um den Kopf gewickelt. Eine Kalaschnikow triumphierend vor der Brust, im Hintergrund fünfzig nagelneue Pick-ups mit Tarnanstrich und malischer Flagge. Das Video stellten sie auf ihre Homepage und kommentierten es mit den Worten, die malische Armee habe eine weitere Demütigung erfahren.

Bei der europäischen Ausbildungsmission in Mali herrschte Fassungslosigkeit. 560 Soldaten, darunter 160 deutsche, bilden seit anderthalb Jahren malische Truppen aus. Ihre Bemühungen wurden mit einem Schlag zunichtegemacht. "Weil ein Politiker die Machtprobe wollte, fangen wir nun wieder bei null an", zürnte ein französischer Offizier.

In Europa nahm kaum jemand von dem Desaster Notiz. Es war Mai, alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die Krise in der Ukraine. Das kam den Staaten gerade recht, die seit mehr als einem Jahr versuchen, die malische Armee auf Vordermann zu bringen. Denn was sich vor drei Monaten ereignete, warf die Frage nach dem Sinn und Zweck der Ausbildung auf - und darüber gibt es bis heute keinen Konsens.

Kidal ist eine Ansammlung staubiger Hütten, in denen 25.000 Menschen leben. Es gibt eine Landebahn, in der Nähe sind einige hundert Soldaten der UN-Friedensmission Minusma stationiert. Die UN-Soldaten werden von den Maliern "bewaffnete Touristen" genannt, weil sie sich überwiegend mit der eigenen Sicherheit beschäftigen. Allerdings ist Kidal auch ein gefährliches Pflaster für sie. Immer wieder kommt es zu Angriffen und Bombenanschlägen auf die überwiegend afrikanischen Blauhelmtruppen. In der Stadt haben Tuareg das Sagen, sie wollen mit der Regierung in Bamako nichts zu tun haben. Das eint sie mit islamistischen Terroristen, die sich deshalb auch gerne dort aufhalten.

Ohne die Tuareg geht nichts

Durch Kidal führt ein alter Handelsweg Richtung Algerien. Wer Cannabis von Westafrika nach Arabien schaffen will, Flüchtlinge von Zentralafrika ans Mittelmeer und Waffen in alle Welt, muss dort durch. Nichts geht ohne die Unterstützung der Tuareg. Seit Malis Unabhängigkeit 1960 hat es immer wieder Aufstände des Nomadenvolkes gegen die Regierung in Bamako gegeben. Die letzte Rebellion fand vor zwei Jahren statt, als 1500 Tuareg aus Libyen zurückkehrten, wo sie als Söldner in der Islamischen Legion von Gaddafi gekämpft hatten. Die Islamisten machten sich das Chaos zunutze, ihr Marsch auf die Hauptstadt wurde erst durch die Intervention von 3000 französischen Soldaten gestoppt. Die malische Armee hatte kaum Widerstand geleistet. Sie lag am Boden, nicht mehr einsatzfähig.

Dann kamen die Europäer. Sie wollten die Streitkräfte wiederaufbauen. Aber nur im Süden des Landes, wo es halbwegs sicher ist. Als die malischen Soldaten im Mai dieses Jahres plötzlich ihre Pick-ups mit Waffen, Munition und Verpflegung beluden, war es mit der Ausbildung zunächst vorbei. Der neue Regierungschef Moussa Mara, 39 Jahre alt und erst seit ein paar Wochen im Amt, hatte den Marschbefehl gegeben. Er wollte seinen Machtanspruch demonstrieren, auch in Kidal.

Die UN-Blauhelme und einige europäische Botschafter warnten, die Lage in der Stadt sei für einen Besuch zu gefährlich. Mara könne mit seiner Visite die Tuareg provozieren. In Kidal gab es nur einen winzigen Stützpunkt der Armee, hundert Mann. Der Regierungschef beorderte 2000 Soldaten dorthin. Das war etwa ein Zehntel seiner verfügbaren Truppe. Bewaffnet mit Gewehren, Granat- und Raketenwerfern, sollten die Männer den Besuch absichern. Drei der vier in Kidal eingesetzten Verbände waren von der EU ausgebildet worden.

Angriff auf Ministerpräsident Mara

Die Vereinten Nationen boten sich als neutrale Instanz an, um den Besuch zu begleiten. Die malische Regierung ging darauf ein, die Tuareg stimmten nur scheinbar zu. Sie stellten Moussa Mara eine Falle. Als der Regierungschef am 17. Mai in einem UN-Flugzeug nach Kidal kam, wurde er von mehreren hundert protestierenden Tuareg am Flugplatz erwartet. Sie forderten einen eigenen Staat. Nachdem Mara das Flugzeug verlassen hatte, fielen Schüsse. Die UN-Truppe brach den Besuch ab. Der Ministerpräsident und seine Entourage flohen zurück in das Flugzeug, das sofort startete - eine Flucht, eine Demütigung. Zurück in Bamako sagte Mara, das Land stehe nun im Krieg mit den Tuareg. Die 2000 vor Kidal lagernden Soldaten sollten die Schmach tilgen und in die Stadt einrücken. Selbst gut ausgebildete und modern ausgerüstete westliche Truppen scheuen solche Einsätze, weil sie fast immer verlustreich sind. Die unerfahrenen Malier aber kannten nicht einmal die Stärke ihres Gegners, geschweige denn die örtlichen Gegebenheiten. So mündete der Angriff in eine Katastrophe.

Die Soldaten beschossen erst den Gouverneurssitz mit Granaten, da vermuteten sie das Hauptquartier der Rebellen. Dann drangen die Einheiten in die Stadt ein, ohne Verbindung untereinander. Dort hatten sich die Tuareg verschanzt. Als sie sich den Truppen entgegenstellten, waren sie viel stärker und zahlreicher, auf einen Soldaten sollen zwei Rebellen gekommen sein. Die Tuareg schlugen den Angriff zurück, sie trieben die Soldaten aus der Stadt, überrannten den Armeestützpunkt und erbeuteten etliche Fahrzeuge. Fünfzig Soldaten wurden getötet, mehrere Dutzend gefangen genommen. Die anderen flüchteten sich in das UN-Lager am Flughafen, das sie erst Wochen später unter dem Geleit der Minusma verlassen konnten.

Die Tuareg begnügten sich nicht mit diesem Erfolg. Sie gingen nun überall im Norden gegen die dort stationierten Truppen der Regierung vor, unterstützt von Islamisten. Nur Gao und Timbuktu fielen nicht in ihre Hände. Kein Wunder: In Gao sind große Teile der 1600 in Mali eingesetzten französischen Soldaten stationiert, in Timbuktu große Teile der Minusma. Es gibt aber noch eine weitere Erklärung für das Verhalten der Rebellen. Die eroberten Städte ermöglichen es ihnen, die Schmuggelwege im Norden uneingeschränkt zu kontrollieren. Gao und Timbuktu brauchen sie dafür nicht. Ein deutscher Vertreter in Bamako sagt, die Rebellen hätten die Gunst der Stunde genutzt, um ihr Einflussgebiet neu abzustecken. Es sei eindeutig um organisierte Kriminalität gegangen.

Die Franzosen wollen sich nicht einmischen

Die Franzosen in Gao hätten der bedrängten Armee zu Hilfe eilen können. Machten sie aber nicht mit der Begründung, sie wollten sich nicht in einen innermalischen Konflikt einmischen. Malische Politiker haben eine andere Erklärung für die Passivität. Die Franzosen, behaupten sie, hätten mit den Tuareg ein Stillhalteabkommen geschlossen, weil sie sich von ihnen Unterstützung bei der Freilassung in der Wüste gefangener französischer Geiseln erhofften.

Regierungschef Mara machte seinen Verteidigungsminister für das Desaster verantwortlich. Deutsche Vertreter in Bamako berichten, in der malischen Armeeführung habe sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, dass die Streitkräfte "eine längere Phase der Konsolidierung" benötigten und an eine Rückeroberung der von den Rebellen besetzten Gebiete "in den nächsten fünf bis zehn Jahren" nicht zu denken sei. Stattdessen versucht die Regierung nun abermals, mit den verschiedenen Tuareg-Gruppen über eine politische Lösung des Konflikts zu reden. Ihre Verhandlungsposition könnte kaum schlechter sein.

Für die Europäer war die Niederlage der von ihnen ausgebildeten Streitkräfte nicht nur ein herber Rückschlag. Sie wirft die Frage auf, wozu die Ausbildung eigentlich dienen soll. Das Mandat der Mission ist denkbar allgemein formuliert. Die Soldaten sollen der Regierung helfen, wieder die volle Souveränität über das Land zurückzuerlangen. Aber wie? Mit Angriffen?

Ein gemeinsamer Plan ist notwendig

Deutschland will nicht, dass die malische Regierung den Konflikt im Norden militärisch löst. Die Regierung soll mit den Rebellen verhandeln. Deshalb, sagt ein deutscher Vertreter in Bamako, werde die Bundeswehr als zweitgrößter Truppensteller der Mission auch keine Maßnahmen unterstützen, die einer militärischen Lösung des Konflikts dienten. Das Bundesverteidigungsministerium gewinnt der verfahrenen Lage sogar etwas Positives ab. "Durch die Ereignisse in Kidal erhielten die stockenden Verhandlungen zwischen der malischen Regierung und den bewaffneten Gruppierungen nach mehrmonatigem Stillstand neue Impulse", sagt ein Sprecher. Die malischen Soldaten sollten nur militärische Grundfertigkeiten lernen - für Stabilisierungseinsätze, nicht für Kampfeinsätze. "Eine darüber hinausgehende Ausbildung ist derzeit weder durch die Europäische Union noch durch Deutschland beabsichtigt", so der Sprecher.

Aber durch die Franzosen. "Wir müssen der malischen Armee jetzt auch beibringen, einen Angriff professionell zu planen", sagt der Kommandeur der Mission, der französische Brigadegeneral Marc Rudkiewicz, der F.A.S. Die Ausbildung solle an die Realität im Norden angepasst werden und die malische Armee so weit gebracht werden, dass sie den Rebellen "auf Augenhöhe" begegnen könne.

Also, was nun? Die Lage ist zusätzlich kompliziert, weil die Soldaten aus Frankreich und Deutschland auch noch demselben Verband angehören: der deutsch-französischen Brigade in Müllheim. Sie trainieren die Malier gemeinsam, es muss also einen gemeinsamen Plan dafür geben. In den nächsten Wochen will die EU-Mission erst einmal mit dem malischen Verteidigungsministerium und dem Generalstab über die künftige Ausbildung beraten. Dafür wurde eine Beratergruppe gebildet. Ihr gehören vor allem französische Offiziere an, die Bundeswehr hat einen Soldaten abgestellt. Auf diese Weise gewinnen die Soldaten zwar Zeit, doch den Konflikt um die künftige Ausbildung werden sie untereinander lösen müssen.