Beitrag vom 01.08.2014
Seminar für Ländliche Entwicklung, Humboldt-Universität Berlin
SLE Briefing Paper 04-2013/2014
Another BRICk in the wall?
Bausteine für eine nachhaltige Entwicklung Subsahara-Afrikas
Spätestens seit der 2010 erschienenen McKinsey-Studie über die "African Lions on the Move" hat das westliche Bild von Afrika eine deutlich positivere Konnotation erhalten. Afrika wird nicht mehr aus-schließlich als ein von Armut, Hunger, Korruption und Epidemien geplagter Kontinent, sondern viel-mehr als ein neuer wirtschafts- und entwicklungspolitischer Hoffnungsträger gesehen. Als Beleg für diese verheißungsvolle Sichtweise werden die seit einiger Zeit konstant hohen Wirtschaftswachstums-raten in vielen afrikanischen Ländern angeführt. Betrachtet man den Afrika-Hype jedoch aus einer differenzierten und an Nachhaltigkeit orientierten Perspektive, ist festzustellen, dass das Wachstum weder ökologisch nachhaltig noch breitenwirksam ist und daher nur bedingt zur Armutsminderung beitragen kann. Die grundlegenden Probleme vieler afrikanischer Länder - wie z.B. fragile Staatlichkeit, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, Exportorientierung, geringe wirtschaftliche Diversifizierung und hohe Arbeitslosigkeit - bleiben somit bestehen. Dennoch gibt es sinnvolle Ansatzpunkte für eine kontextgerechte nachhaltige Entwicklung der afrikanischen Länder. Die Verantwortung für deren Umsetzung liegt sowohl auf dem afrikanischen Kontinent als auch in Ländern des globalen Nordens.
Das Wachstum afrikanischer Länder...
Die Tatsache, dass die afrikanischen Volkswirtschaften wachsen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Bei einer genauen Analyse der Wachstumsraten ist zunächst festzuhalten, dass es unter-schiedliche Länderwachstumsgruppen gibt: So sind die fragilen Staaten (ca. 25 % der Länder Afrikas) im letzten Jahrzehnt um weniger als 4 % gewachsen, die Mitteleinkommensländer (ca. 15 % der Länder) um 4 %, die Niedrigeinkommensländer lagen bei ca. 5-6 % und die Rohstoffexporteure bei etwas über 6 % (vgl. Kappel 2013).
Auffällig ist zudem, dass es vor allem die Staaten in Subsahara-Afrika (SSA) sind, die sehr hohe Wachstumsraten aufweisen. Auch wenn es sich dabei um 49 unterschiedliche Länder, mit jeweils eigener politisch-historischer, wirtschaftlicher und sozio-kultureller Prägung handelt, die in-dividuell über sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen für Wachstum verfügen (vgl. Frank 2012) sprechen die Zahlen für sich: Seit dem Jahr 2000 ist die Wirtschaft in SSA im Durchschnitt jährlich um 5 % Prozent gestiegen und erreichte damit seine mit Abstand erfolgreichste Wachstumsphase in den vergangenen 40 Jahren (vgl. BDI 2014). Zieht man zusätzlich das Bevölkerungswachstum in Betracht, so stieg das Pro-Kopf-Wachstum in SSA 2012 im Schnitt um 1,83 %, in den Löwenstaaten (siehe Seite 2) sogar um 4,96 % (vgl. World Development Indicators 2014). Darüber hinaus befanden sich in der Dekade zwischen 2001 und 2011 sechs Länder SSAs unter den zehn weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften: Angola (11,1 %), Nigeria (8,9 %), Äthiopien (8,4 %), Tschad (7,9 %), Mozambique (7,9 %) und Ruanda (7,6 %) (vgl. UNECA 2012 und siehe Box 1 ). Dies sind im Vergleich zu den OECD-Staaten, die im selben Jahr ein durchschnittliches Pro-Kopf-Wachstum von 1,45% verzeichneten, bemerkenswerte Zuwächse. Die
Wachstumseuphorie um Afrika wird zudem beflügelt durch die Tatsache, dass sich die Bevölkerung des Kontinents Prognosen zufolge bis 2050 ungefähr verdoppeln könnte, womit für die Zukunft ein noch größeres Arbeitskräftepotenzial zur Verfügung steht. Geschätzte drei Milliarden afrikanische Konsumenten könnten dann einen enormen Absatzmarkt bilden (vgl. Frank 2012).
...und die andere Seite der Wachstumsmedaille
Der African Economic Outlook Report 2014 stellt jedoch fest, dass das Wachstum Afrikas mit unzureichender Armutsbekämpfung, anhaltender Arbeitslosigkeit und steigender Einkommensungleichheit einhergeht. Vom Wirtschaftswachstum kommt de facto also viel zu wenig bei der Bevölkerung an. Dass sich die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in Afrika in den letzten fünfzig Jahren kaum verbessern konnte, liegt nicht zuletzt an der neoliberalen Ideologie, die einen marktkonformen Extraktivismus propagiert. In anderen Worten: die Grundlage des Wirtschaftswachstums beruht letztendlich auf der Ausbeutung der natürlichen und menschlichen Ressourcen Afrikas und ist primär auf den Export fokussiert. Gestützt wird das Exportmodell durch die konstante Nachfrage nach Rohstoffen, Energie und landwirtschaftlichen Produkten, ins-besondere aus den sogenannten BRICS-Staaten (vgl. Kappel 2013). Dabei sind es vor allem die ressourcenreichen Länder (wie z. B. Nigeria) und deren Eliten, die vom Aufschwung profitieren und die Erlöse aus den Exporteinnahmen für eigene Zwecke verwenden, anstatt diese in die Entwicklung ihrer Länder und Bevölkerungen zu investieren. Begünstigt wird dieser Trend durch fehlende Rechtsstaatlichkeit und schwache Institutionen in vielen Ländern SSAs. Die notwendigen Investitionen in arbeitsintensive Industrien und in die Landwirtschaft - letztgenannter Sektor stellt nach wie vor den wichtigsten der afrikanischen Wirtschaften dar - sind bisher ausgeblieben.
Die Mittelschicht, zu welcher gemäß Definition diejenigen zählen, die am Tag zwischen zwei und 20 Dollar verdienen (vgl. Fink 2012), schien dabei lange Zeit als Garant für das zukünftige Wachstum Afrikas zu fungieren. Diese Mittelschicht sollte Steuern zahlen und hierdurch zur Umver-teilung des Wohlstands beitragen, die Reformierung des maroden Bildungs- und Gesundheitswesens bewirken und das afrikanische Unternehmertum vorantreiben. Doch bisher stellt sich diese Entwick-lung faktisch als weit weniger bedeutsam heraus als erwartet. Der Mittelschicht fehlt häufig das Know-how, die Verwaltungen sind schwach und die Infrastruktur trotz Investitionen oft marode.
Was soll konkret und in welchen Berei-chen geändert werden?
Damit Afrika als Vorreiter eines kontext-gerechten nachhaltigen Entwicklungsmodells in die Geschichte eingeht, braucht es i) einen politischen Willen zur Veränderung; ii) ein gemeinsames Bewusstsein über die zentralen Herausforderungen wie z. B. Klimapolitik, erneuerbare Energien, Ernährungssicherheit, digitale Vernetzung, Konflikte sowie Terrorismus; iii) Wertschöpfung im eigenen Land; iv)Investitionen in die Grundversorgung wie Bildung oder Gesundheit und v) Gleich-berechtigung und Partizipation der Bevölkerung. Essentiell ist es dabei, dass die Anstöße für eine nachhaltige Entwicklung von Afrika selbst ausgehen, z. B. durch Erstarkung der Zivilgesellschaften.
Bei allen Überlegungen geht es nicht darum, dass die Länder SSAs die Industrieländer in ihrem Entwicklungsweg nachahmen sollen. Vielmehr wäre es wünschenswert, dass sie bestimmte technologische Entwicklungsstufen auslassen (Leapfrogging-Prinzip) (Koczy 2014). Ein Beispiel hierfür wäre der Transfer von Wissen über erneuerbare Energien von den Industriestaaten in Länder SSAs, um dort den Aufbau einer emissionsärmeren und somit nachhaltigeren Energiewirt-schaft zu ermöglichen.
Darüber hinaus gilt es zu erkennen, welche Länder bzw. Regionen mit welchen spezifischen Problemen konfrontiert sind, um anschließend kontextgerechte Lösungen zu eruieren. Dies impliziert eine bessere Kenntnis der Historie des Kontinents, sowie der Kausalitäten, die seiner Entwicklung zugrunde liegen.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind es konkret folgende Veränderungen, die dazu beitragen könnten, ein nachhaltiges Wachstum in den Staaten SSAs zu ermöglichen:
1. Schaffung geeigneter politischer Rahmenbedingungen für Frieden und Sicherheit: Ohne Verminderung der Fragilität der SSA-Staaten ist eine weitere Entwicklung nur bedingt möglich, da die Grundbedürfnisse der Menschen nach Sicherheit nicht befriedigt werden und somit kein Vertrauen in den Gesellschaften aufgebaut wird, was wiederum langfristige Investitionen verhindert.
2. Zukunftsorientierte wirtschaftliche Weichenstellungen: Ohne die Schaffung sogenannter manufacturing industries ist in SSA keine Armutsreduzierung möglich. Dabei soll unter dem Schlagwort des "imperative to industrialize" (UNECA 2013) zugleich eine nachhaltige Industria-lisierung im Fokus stehen. Angesichts der Erfahrungen der Industrieländer oder auch Chinas wäre es ratsam, von Anfang an in nachhaltige Industrien und umweltverträgliche und zukunftsorientierte Technologien zu investieren. Einmal aufgetretene Umweltzerstörungen haben sich in vielen Fällen als irreversibel erwiesen und der nachträgliche Versuch der Eindämmung von Umweltschäden hat sich vielfach als volkswirtschaftlicher Irrtum herausgestellt.
3. Soziale und umweltpolitische Standards sowie staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur, z. B. in Straßen- und Stromnetze, Abwasserreinigung oder Rekultivierung, sind für eine langfristige nachhaltige Entwicklung unabdingbar, denn "Wer von der Infrastruktur her isoliert ist, ist in Afrika heute ohnmächtiger und unsichtbarer denn je" (Johnson 2011).
4. Demographischer Wandel durch Familienplanung: Ohne eine Reduzierung des Bevölkerungswachstums in SSA wird es aller Voraussicht nach nicht möglich sein, das Wachstum des BIP pro Kopf über das Subsistenzniveau hinaus zu bringen (Malthusian population trap, Todaro 2012). Damit die Kinderzahlen dem Wunsch der Menschen entsprechend zurückgehen, wäre es notwendig, dass sie "ihre sexuellen und reproduktiven Rechte wahrnehmen können, das heißt, [...] Verhütungsmittel bereitgestellt, Sexualaufklärung angeboten und reproduktive Gesundheits- und Beratungs-dienstleistungen ausgebaut werden" (Sippel et al. 2011).
5. Jugendüberschuss als Potenzial: Die Herausforderung besteht darin einerseits, die Fertilitäts- und Mortalitätsraten zu senken, andererseits den existierenden Jugendüberhang in SSA zum volkswirtschaftlichen Motor zu entwickeln. Dafür muss der Fokus auf gute Ausbildung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gelegt werden. Sonst zahlt sich der "demografische Bonus" nicht aus.
6. Änderung der globalen Machtstrukturen und Verteilungsgerechtigkeit sowie die Wahrnehmung Afrikas als außen- und wirtschaftspolitisch wichtigen Akteur (Wenzel 2014): Strukturelle Ungerechtigkeiten sind zurzeit in zahlreichen Economic Partnership Agreements (EPAs) verankert oder werden gar durch kritikwürdige Weltbank-Finanzierungen von Großprojekten mit negativen sozioökonomischen und kulturellen Folgen neu geschaffen (vgl. McDonald et al. 2013).
7. Transparenz: Um die Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Unzulänglichkeiten der Politik besser integrieren zu können, soll Transparenz geschaffen werden, z.B. durch die Publizierung von bilateralen Verträgen, durch die Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI) oder durch Veröffentlichung der Projektvorhaben deutlich vor deren Unterschreiben, um der lokalen Bevölkerung bzw. Zivilgesellschaft Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren. Zusätzlich soll vom "legal advice" Gebrauch gemacht werden: Vor Unterschrift von Verträgen, sollten die Regierungen der Entwicklungsländer juristische Beratung über die Vertragsfolgen und mögliche Verhandlungsspielräume erhalten (Koczy 2014).
8. Empowerment von Frauen: Stärkung von Frauen und ökonomische Entwicklung stehen in starker gegenseitiger Wechselbeziehung. Obwohl dies keine Patentlösung für Entwicklung darstellt, "erhöht bessere Gleichberechtigung die ökonomische Produktivität, verbessert Entwicklungsergebnisse für die nächste Generation und macht Institutionen und Politiken repräsentativer" (Revenga/Shetty 2012).
Fazit
Zusammenfassend kann man mindestens zwei politische Ebenen identifizieren, die Ausgangspunkt zentraler Veränderungsanstöße für die Einleitung einer nachhaltigen und kontextgerechten Entwicklung Afrikas sein müssten: Eine liegt in Afrika selbst, die andere ist die internationale Ebene. Während in SSA der politische Wille als Schlüsselvoraussetzung dient, sollten im internationalen Kontext institutionalisierte Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten (bspw. Agrarsubventionen) abgebaut werden. Entscheidend für einen ehrlichen Diskurs über Strategien und Instrumente für die nachhaltige Entwicklung Afrikas ist auch die Form des Umgangs des globalen Nordens mit seinem Nachbarkontinent (vgl. Koczy 2014, Köhler 2014). "[Es] müsste [...] zumindest eine "Nachhaltigkeitsrente" geben, in Form einer internationalen Bezuschussung nachhaltiger Ressourcennutzung sowie eine gezielte Protektion nachhaltiger und arbeitsintensiver Produktionsverfahren" (Rauch 2014).
Insgesamt lässt sich resümieren, dass es genügend Ansatzpunkte für eine - im sozioökonomischen und ökologischen Sinne - nachhaltige Entwicklung Afrikas gibt. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Entscheidungsträger SSAs den Willen und das Durchsetzungsvermögen haben, diese zu verwirklichen und ob sie von den Machthabern im "Westen" dabei unterstützt werden, die Hürden auf der globalen Ebene abzubauen.
Dieses Briefing Paper entstand auf Grundlage der Podiumsdiskussion am 20. Mai 2014 im Rahmen der Entwicklungspolitischen Diskussionstage (EPDT), die das SLE gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. jährlich durchführt.
Es diskutierten:
Ute Koczy, Freie Gutachterin
Prof. Dr. Theo Rauch, Institut für Geographische Wissenschaften, FU Berlin
Andreas Wenzel, Generalsekretär SAFRI
MinDirig Dr. Jürgen Zattler, Leiter der Abteilung Europäische Union und multilaterale Ent-wicklungspolitik, BMZ