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Beitrag vom 14.07.2014

ipg-journal

Ebola in Westafrika

Was Politik und Hilfsorganisationen jetzt tun müssen.

Autor: Tankred Stöbe

Der Ebola-Ausbruch in Westafrika ist außer Kontrolle. Mit dieser simplen Feststellung hat Ärzte ohne Grenzen am 23. Juni für Aufregung gesorgt. Mit mehr als 800 offiziell registrierten Krankheitsfällen und mehr als 500 Toten (Stand: 8. Juli 2014) in Guinea, Sierra Leone und Liberia ist die Epidemie der tödlichste Ebola-Ausbruch der Geschichte. Vor allem die weite geografische Verbreitung des Virus macht ihn so besonders tückisch: An mehr als 60 Orten in drei Ländern wurden Ebola-Fälle registriert. Das hat es bislang noch nie gegeben. Frühere Epidemien waren jeweils auf klar eingrenzbare Gebiete beschränkt. Nun ist damit zu rechnen, dass sich der Ausbruch noch über Wochen, wahrscheinlich Monate fortsetzen wird.

Ärzte ohne Grenzen ist seit Beginn des Ausbruchs mit Teams vor Ort. Derzeit arbeiten mehr als 300 Mitarbeiter in den Projekten in den drei Ländern. Mehr als 40 Tonnen Ausrüstung wurden in das Gebiet gebracht. Derzeit betreiben die Teams vier Behandlungszentren - darunter im Norden Sierra Leones die größte Ebola-Isolationsstation in der Geschichte der Organisation mit 65 Betten. Aber unsere Ressourcen reichen nicht aus. Und bis vor kurzem war Ärzte ohne Grenzen die einzige internationale Hilfsorganisation, die Ebola-Patienten behandelt hat.

Die Anstrengungen zur Eindämmung sind zu gering

Die Verbreitung von Ebola einzudämmen, ist eine komplexe Aufgabe, die viel Fachwissen, gewaltige Ressourcen und große Anstrengungen auf allen Ebenen erfordert. In jedem betroffenen Gebiet müssen Behandlungszentren aufgebaut, Pflegepersonal geschult und Maßnahmen zur Desinfektion gestartet werden. Es muss ein System zur Nachverfolgung aller Personen aufgebaut werden, mit denen Infizierte in Kontakt waren - um neue Verdachtsfälle schnell isolieren zu können. Es muss ein Netzwerk zur epidemiologischen Überwachung aufgebaut werden. Die Gesundheitseinrichtungen vor Ort müssen auf den Umgang mit Verdachtsfällen vorbereitet werden. Schon bei nur einem Epizentrum ist die Eindämmung von Ebola deshalb eine gewaltige Aufgabe. Gemessen an der geografischen Verbreitung waren die Anstrengungen zur Eindämmung des aktuellen Ebola-Ausbruchs bisher viel zu gering.

Zum einen werden vor Ort dringend mehr Mediziner mit Erfahrungen bei Ausbrüchen von hämorrhagischem Fieber gebraucht. Die WHO und medizinische Hilfsorganisationen müssen ihre Anstrengungen hier deutlich verstärken. Auch für die Nachverfolgung der Kontakte werden dringend mehr Ressourcen benötigt, denn die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten ist sehr mobil. Eine Person, die in Kontakt mit einem Infizierten war, mussten unsere Mitarbeiter beispielsweise fünf Tage lang suchen. In dieser Zeit war sie durch fünf Dörfer gereist und hatte dort Kontakt mit zahlreichen Bewohnern.

Auch die Aufklärung der Bevölkerung und die Vertrauensbildung sind von elementarer Bedeutung. Wir haben Verständnis dafür, dass unseren Teams an manchen Orten Skepsis entgegenschlägt, denn Ebola war in Westafrika bisher nicht bekannt. Die Menschen vor Ort beobachten, wie Ausländer in Ganzkörper-Schutzanzügen in ihrem Dorf ankommen und einzelne Personen in Isolationsstationen mitnehmen, die oft tot wieder herausgebracht werden. Da erfordert es große Bemühungen, um trotzdem das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Unsere Teams versuchen deshalb möglichst transparent zu handeln und auf jeden Patienten und seine Familie individuell einzugehen. Beispielsweise kleiden sich Mitarbeiter oft vor den Augen der Verwandten mit ihren Schutzanzügen ein.

Falls es nicht gelingt, Vertrauen zu gewinnen, sind die Folgen fatal: Es hat immer wieder Fälle gegeben, in denen Bewohner aus Misstrauen ihre infizierten Angehörigen zu Hause pflegten, statt sie in die Behandlungszentren zu bringen. Einmal wurde eine Einrichtung unserer Organisation sogar mit Steinen beworfen, weil das Gerücht umging, unsere Mitarbeiter hätten das Virus erst in die Stadt gebracht. Wir mussten die Arbeit dann für einige Tage aussetzen.

Großflächige Aufklärungsinitiativen sind deshalb notwendig: Wie wird Ebola übertragen? Wie kann man sich schützen? Welche Symptome deuten auf Ebola hin? Zum Beispiel muss bei Beerdigungen darauf geachtet werden, dass es keinen direkten Kontakt mit dem Toten gibt. In Westafrika ist es aber verbreitet, dass von Verstorbenen Abschied genommen wird, indem die Leiche gewaschen und umarmt wird. Wir gehen etwa davon aus, dass die Beerdigung einer angesehenen Heilerin in Sierra Leone, die mit Ebola infiziert war, zu einer deutlichen Verbreitung in der Region beigetragen hat. Besonders bei der Aufklärung müssen lokale, nationale und internationale Akteure deutlich mehr tun.

Nationale und internationale Akteure müssen mehr tun

In der vergangenen Woche haben die WHO, elf Gesundheitsminister der Region und Hilfsorganisationen bei einer Konferenz in Ghanas Hauptstadt Accra konkrete Maßnahmen zur Eindämmung des Ausbruchs beschlossen. Wir begrüßen, dass das Ausmaß des aktuellen Ebola-Ausbruchs dadurch anerkannt wurde. Das Treffen in Accra hat geholfen, einen besseren Überblick über die Situation zu gewinnen und Maßnahmen zu beschließen, die jetzt umgesetzt und verstärkt werden müssen.

Wir appellieren nun an die Teilnehmer des Treffens in Accra, auf ihre Versprechen schnellstens Taten folgen zu lassen. Besonders qualifiziertes medizinisches Personal wird dringend benötigt, es müssen Schulungen zur Behandlung von Ebola organisiert werden, und die Nachverfolgung von Verdachtsfällen sowie die Aufklärung müssen schleunigst verstärkt werden. Außerdem ist es wichtig, dass einflussreiche Personen in den betroffenen Ländern gewonnen werden und dabei helfen, die wichtigen Botschaften zu Ebola in den Gemeinden zu verbreiten. Nur auf diese Weise kann der Angst der Bevölkerung entgegengewirkt werden, so dass die Patienten in die Behandlungszentren kommen und allen Verdachtsfällen nachgegangen wird.

Noch ist vollkommen offen, wie sich die Epidemie weiter entwickelt. Für eine Entwarnung sehen wir aber auf absehbare Zeit noch keinen Anlass.

Dr. Tankred Stöbe ist seit 2007 Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen in
Deutschland. Er ist Spezialist für Innere Medizin und arbeitet auf einer
Intensivstation und als Notarzt in einem Berliner Krankenhaus. Sein erster
Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen führte ihn im Jahr 2002 nach Thailand und
Myanmar, später hat er unter anderem in Liberia, Indonesien, Palästina,
Südsudan, Somalia und auf den Philippinen medizinische Nothilfe geleistet.
Seit 2004 ist er Mitglied im Vorstand von Ärzte ohne Grenzen.