Beitrag vom 10.09.2013
Der Standard, Wien
Afrikanische Kampfansage an Den Haag
Julia Raabe
Am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag beginnt der Prozess gegen Kenias Vizepräsidenten William Ruto - unter konfrontativen Vorzeichen
Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag steht vor einem neuen Höhepunkt: Am Dienstag beginnt der Prozess gegen den kenianischen Vizepräsidenten William Ruto. Zum ersten Mal steht ein hochrangiger Politiker vor den Richtern. Bei den blutigen Unruhen nach der Präsidentenwahl im Jahr 2007 mit mehr als 1200 Toten soll er sich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben. Und nicht nur er. Auch dem kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta soll der Prozess gemacht werden, geplanter Beginn: 12. November.
Für die Anhänger einer weltweiten Strafgerichtsbarkeit wäre das eigentlich ein Grund zum Jubeln. "Über Jahrzehnte sind all jene, die die kenianischen Wahlen in ein Blutbad verwandelt haben, mit Mord davongekommen", erklärte Daniel Bekele, Afrika-Direktor von Human Rights Watch, am Montag. "Dieser ICC-Prozess nimmt sich der Straflosigkeit in dem Land an und bietet eine Chance für Gerechtigkeit, die den Kenianern von ihrer eigenen Regierung vorenthalten wurde."
Doch darum geht es in der aktuellen Debatte längst nicht mehr. Die kenianische Regierung hat es geschafft, die Prozesse zu einem Kampf entlang einer klar definierten Frontlinie zu stilisieren: der Strafgerichtshof gegen Afrika.
Dass sich die Mehrheit in Kenias Parlament vergangene Woche dafür aussprach, den ICC zu verlassen, war nur ein letzter Akt in dieser Darstellung. Im Mai hatte die Afrikanische Union auf Betreiben Kenias eine Resolution verabschiedet, in der sie den Strafgerichtshof der Rassenhetze beschuldigte, weil dieser bisher nur afrikanische Fälle behandelt habe.
Zuletzt sprach sich selbst Uganda gegen den Strafgerichtshof aus, ICC-Mitglied der ersten Stunde, 2010 Gastgeber einer Überprüfungskonferenz des Rom-Statuts und Initiator des Verfahrens gegen den Rebellenführer Joseph Kony und mehrere Mitkämpfer. "Der Internationale Strafgerichtshof sollte damit aufhören, immer nur afrikanische Spitzenpolitiker ins Visier zu nehmen", sagte Vizeaußenminister Henry Okello Oryem am Montag.
Afrikanische Chefanklägerin
Am Gerichtshof in Den Haag verweist man auf die Tatsache, dass die Anklagebehörde des ICC nur in Kenia und Côte d'Ivoire von sich aus aktiv geworden ist. Sudan und Libyen wurden dem Gericht vom UN-Sicherheitsrat überwiesen, vier der acht betroffenen Staaten baten den ICC selbst um Ermittlungen (Uganda, Demokratische Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik, Mali). Doch auch der Umstand, dass mit der gambischen Juristin Fatou Bensouda seit 2012 eine Afrikanerin Chefanklägerin ist, hat an den Vorwürfen nichts geändert.
"Als der Strafgerichtshof seine Arbeit aufgenommen und mit den Prozessen gegen Lubanga und Katanga (Exrebellenführer aus dem Kongo, Anm.) begonnen hat, wurde ihm vorgeworfen, sich nur um vermeintlich 'kleine Fische' zu kümmern", sagte ICC-Vizepräsident Cuno Tarfusser dem STANDARD. "Jetzt geht es um die höchste staatliche Ebene - und wir werden wieder kritisiert."
Gegen die politische Entscheidung von Kenias Parlament könne das Gericht zwar nichts machen, und die Ausstiegsmöglichkeit sei im Römischen Statut vorgesehen. Aber: "Der Vorwurf, ein imperialistisches, weißes Gericht zu sein, stimmt einfacht nicht."
Sicher ist, dass der Gerichtshof die Verfahren gegen Ruto und Kenyatta fortsetzen wird, selbst wenn Kenia aus dem ICC aussteigen sollte. Tarfusser: "Auf die gängigen Gerichtsverfahren hat die Entscheidung keinen Einfluss." Beide Politiker standen während der Nachwahl-Unruhen auf verschiedenen Seiten und sollen ihre Anhänger aufgehetzt haben.
Für die Anwälte der Opfer sind die Verfahren eine Zitterpartie. Zeugen sind abgesprungen, andere verschwunden. Einige berichteten in kenianischen Medien anonym darüber, massiv unter Druck gesetzt worden zu sein. Ruto wird in Den Haag persönlich anwesend sein. Zu seiner Unterstützung reisten dutzende kenianische Parlamentarier an.