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For a different development policy!

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Fri, 4 Jun 2010 - 10:24

Jürgen Haushalter, Meckenheim
Posting

Zum Spiegel Online-Beitrag von Kurt Gerhardt
"Warum die Helfer versagen”
oder
Der positive Aspekt gescheiterter Entwicklungshilfe

Der Kritik von Kurt Gerhardt im Spiegel-Online vom 23.5.2010 zum Versagen der Entwicklungshilfe in Afrika ist zuzustimmen. Die aufgeführten Gründe überzeugen und sind stimmig, führt doch eine Hilfe ohne Gegenleistung zu Passivität bei den Nehmerländern und blockiert damit Anstrengungen, einen eigenen Weg aus der Armut zu finden. Die Thesen müssen aber m. E. um einen wesentlichen Scheiterungsgrund erweitert werden, der in den Debatten leider keine Aufmerksamkeit erhält.

In der Auseinandersetzung zur Entwicklungspolitik vermisse ich eine tiefgehende Diskussion zum Begriff "Entwicklung”. Ein derartiger Diskurs ist aber die Grundvoraussetzung - im Norden wie im Süden -, um gemeinsam Wege aus der Armut zu finden. Jegliche Entwicklung einer Gesellschaft basiert auf historisch gewachsenen Leitbildern, also nicht auf externen, fremdartigen Gesellschaftsmodellen. Uns allen ist inzwischen bewusst, dass das Industriemodell in vielfacher Hinsicht an deutliche Grenzen stößt, ja unsere Lebensgrundlagen gefährdet. Schon aus Selbsterhaltungsgründen dürfte es nicht weiterempfohlen werden, es ist weder glaubwürdig noch zukunftsträchtig.

Aber genau das geschieht seit Jahrzehnten im Zuge einer von Respektlosigkeit getragenen Entwicklungspolitik, die weiterhin von unterentwickelten Gesellschaften ausgeht. Eurozentrische Entwicklungsvorstellungen - häufig wirtschaftsorientiert - sind einfach nicht aus den Köpfen zu bringen. Armut wird auf ein technisches Problem reduziert, somit entpolitisiert, und sozio-kulturelle Gegensätze bleiben außen vor.

Mit Recht wird auch von Gerhardt behauptet, dass die Entwicklung einer Gesellschaft von außen nicht funktioniert. Es stellt sich die Frage, ob sich z. B. eine technologisch orientierte Gesellschaft wie die unsrige die afrikanische Lebensphilosophie "Ubuntu" überstülpen lassen würde. Diese für uns exotische, auf Tribalismus, Spiritualität, Subsistenzwirtschaft, Gemeinsinn und Humanismus basierende Lebensphilosophie beinhaltet, dass der "Mensch erst Mensch durch den Mitmenschen wird”. Lebensgrundlage und -qualität beruhen nicht auf Leitbildern wie Selbstverwirklichung, Individualismus, Wachstum und Profitstreben. Sie sind afrikanischen Menschen nicht zu vermitteln, ja sie werden intuitiv abgelehnt. Der Beweis wird durch unzählige Landesprogramme und Projekte erbracht, die immer dann im Sand verlaufen, nachdem die Helfer das Land verlassen haben. Ich habe diese Erfahrung selbst gemacht. Gäbe es echt unabhängige Institutionen, die objektiv Projektevaluierungen erstellen würden, käme man schnell zu einer ernüchternden Erkenntnis. Aber derartige Erfolgskontrollen und Analysen meidet die Entwicklungshilfelobby wie der Teufel das Weihwasser.

Es sind die unüberbrückbaren, sozio-kulturellen Diskrepanzen, die die Implementierung unseres Gesellschaftsmodells scheitern lassen. Tatsächlich impliziert die Verweigerungshaltung afrikanischer Menschen - nicht der Dauerpräsidenten und Eliten - eine kluge, weitsichtige Daseinsvorsorge. Sie spüren, dass das ihnen zutiefst fremde Industriemodell in keiner Weise kompatibel ist mit den uralten Elementen der eigenen Lebensphilosophie. Dass das westliche Modell darüber hinaus aus ökologischen und ressourcenraubenden Gründen höchst problematisch ist und keinen Vorbildcharakter hat, ist vielen Menschen vielleicht nicht einmal bewusst. In dieser intuitiven Ablehnung liegt die eigentliche Kraft, ja Zukunft Afrikas! Was das Engagement Chinas auf dem schwarzen Kontinent betrifft, setzt es von vornherein nicht auf barmherzige, fragwürdige Entwicklungshilfe, sondern macht klar, dass "geschenkte” Infrastrukturmaßnahmen mit Ressourcen zu bezahlen sind.

Die im Bonner Aufruf erarbeiteten "10 Vorschläge für eine bessere Entwicklungspolitik” sind wichtig und wegweisend. Sie können in meinen Augen allerdings nur Zwischenschritte zu einer radikalen Neuorientierung bzw. Neubesinnung sein und müssten um die Begriffsbestimmung "Entwicklung” erweitert werden, dies zusammen mit kritischen, afrikanischen Experten.

Zum Schluss erlaube ich mir die provokante These anzuführen, dass die intuitive Blockadehaltung afrikanischer Gesellschaften gegenüber dem Industriemodell positiv zu sehen ist. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir langfristig gezwungen sein werden, zukunftsträchtige Elemente ihres Lebensmodells zu übernehmen.